ausfahrt

 

 

 

 

Anleitung zum Langweilen

 

(Wichtiger Hinweis: Katholiken, Erzkonservative, Menschenrechtler und Geister am Scheideweg der Moral mögen sich verpissen statt hier zu lesen!)

 

Wie man sich am Besten zu Tode langweilt, lässt sich in einfachen Sätzen beschreiben. Man setzt sich bei einem deutschen Branchenunternehmen an einen Bildschirmarbeitsplatz, lässt sich Aufgaben übertragen die an stupider Kontinuität nicht zu unterbieten sind und beschäftigt sich Tag für Tag und Woche für Woche mit ein und denselben Sachverhalten, die sich auf ein Spektrum von fünf Variablen erstrecken.

 

Man beginnt um kurz vor Acht und beendet sein Tagwerk um kurz nach Vier, wird gegen zehn Uhr morgens müde, schleppt sich bis zur Einschlafphase gegen dreizehn Uhr und weiter, bis pünktlich um Vier Energie in den Körper fliesst. Die meiste Zeit des Arbeitstages verbringt man in Selbstmitleid und in lethargischen Perioden, die auf chronischer Unterforderung und überwältigendem Desinteresse basieren.

Das eigentliche und schwerwiegende Problem ist, dass sich langfristig Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl ergeben. Die Unanforderung und die Erfüllung nicht gegebener Ansprüche reduzieren das Ich auf einen maximal minderwertigen Beweggrund, der die notwendige Selbstentfaltung zu hemmen beginnt. Salopp gesagt fühlt man sich ‚scheiße', weil man entdeckt, dass man für nichts zu gebrauchen ist und zwar einen Beitrag zum allgemeinen Arbeitsbedarf leistet, dieser aber unproblematisch von XY-Kenne-ich-nicht übernommen werden könnte. Kenntnisse und Fähigkeiten verschlummern in den tiefen Höhlen des Unterbewusstseins und übrig bleibt eine träge Arbeitsmaschine, die routiniert und sterilisiert Dinge erledigt. Die Maschine sucht sich pausenlos Abwechslung und Ablenkung auf diversen Büroetagen, im Internet, im E-Mail-Verkehr oder in illustren Gedankenwelten jenseits von Gut und Böse, worunter die Quantität der Arbeitsbewältigung leidet. Dies ist insofern gravierend, da das gesamte Arbeitsgebiet nur auf Quantität basiert.

Die Highlights des Tages beschränken sich dementsprechend auf Kaffee kochen, Kaffee holen, Kaffee trinken, Zigaretten rauchen, Mittagspause machen, Schwätzchen halten, Online Nachrichten lesen, E-Mail-Neueingänge checken, aus dem Fenster schauen, Gähnen.

 

Gigantismus in Sachen Abwechslung ist es denn auch, auf der Toilette zu sitzen und gepflegt abzukoten. Die Abwechslung beim Stuhlgang ist größer als am Bildschirmarbeitsplatz, die Konsistenz des Kotes und damit einhergehend das Procedere und die Intensität der Rektalreinigung bieten mehr Variablen als die Tätigkeit am Computer. Der Toilettengang beschränkt sich leider auf einige wenige Minuten des arbeitsalltäglichen Stundenkosmos und wird folgerichtig regelrecht unterminiert im Konglomerat der Nichtsnutzigkeiten. Das Urinieren, je nach Kaffeekonsum, ist mehr oder minder ausgeprägt, bietet aber in keinem Fall eine willkommene Abwechslung, sowohl in zeitlicher als auch tätlicher Hinsicht. Der Griff nach dem Schwanz vor einem nach Urinstein riechenden Pissoir erweckt keine Regung, nicht emotional und nicht physikalisch. Gepflegte Sekretverwertung oder Harnabstoß und erst die Zigarette danach macht wieder Sinn.

Dass man aus Unterforderung und Langeweile seine Arbeit nicht mehr erledigt ist selbstredend. Das Verrichten unspektakulärer Tätigkeiten kommt dem Nichtstun gleich und in Aussicht der nächsten Kaffee-/Zigaretten-/Unterhaltungspause lässt sich das Tätigsein aka Nichtstun konsequent verdrängen. Man erhebt seinen Körper einfach öfter, rastet unstet durch Geschäftsräume, über Etagen, durch Büros, blickt hierhin und dorthin, hinterfragt was man tut oder nicht tut, was man tun müsste, warum man es tun müsste, warum man nicht tut, was man tun müsste und was man tun kann um nicht tun zu müssen, was man tun müsste.

Am Ende sitzt man vor Microsoft Word, schreibt Geschichten die das Leben schreibt und sagt sich, dass man ohne Recherche eine Geschichte schreiben kann, weil die das Leben schreibt. Anschließend geht man sich erbrechen. Nach Möglichkeit in ein nach Urinstein duftendes Pissoir. Und nach Möglichkeit zu einem Zeitpunkt, da hinter einer verschlossenen Kabinentür ein Kollege furzend abkotet. Auch das ist dann ein Highlight an einem ansonsten stupiden Tag kurz vor dem Tode infolge Langeweile.

Dann wäre da noch: Die Sonne scheint. Die Sonne scheint. Die Sonne scheint. Ich denke an Pall Mall und Pulmoll, ein Konsonant und die Veränderung zweier Vokabeln entscheiden hier über Leben und Tod, über Morbidität oder Schmerzlinderung. Ich sitze währenddessen zwischen einer Statistik, einer Excel-Liste und bunten Papieren, die mir am Arsch vorbei gehen. Ich denke an die Insolvenz meines Geistes und frage mich, wo ich einen Antrag stellen kann. Dann denke ich an einen Einlauf aus Kaffee, brühend warm und als das Telefon klingelt wuchte ich mich für Kurzweil in euphorische Hochstimmung! Die Frage aus dem Telefon kann ich nicht beantworten und die Quintessenz dieses kleinen Intermezzos lautet: Mein Selbstwertgefühl leidet noch mehr. Ich fange an, mir die Pickel am Arbeitsplatz auszudrücken und schaue zu, wie gelber Eiter über den Bildschirm sickert. Spannung pur. Das Spektakel erinnert mich an die alte Neuverfilmung von Der Blob, weil es da auch schleimig zuging. Könnte auch Alien sein oder ein x-beliebiger Monsterstreifen aus den achtziger Jahren, denn da, in den Achtzigern, da war der Schleim noch am Schönsten. Ich aber sitze heute mit Pickellöchern in der Haut und Eiter auf dem Bildschirm in einem Büro und suche mich und meine Identifikation und finde nichts und niemanden. Damit bin ich zum Glück nicht allein. Denn außer mir sind noch Dutzende leerer Hüllen anwesend und die alle haben wenigstens eines gemeinsam: Sie suchen nicht einmal mehr. Und nicht, weil sie sich oder etwas gefunden hätten, sondern deshalb, weil sie sich selbst so sehr aufgegeben haben, dass sie sich nach dem Verlieren vergessen haben. Sie kennen sich nicht mehr und sie wissen nichts mehr von sich. Die Schatten im Spiegel sind nichts anderes als die Tauben auf dem Dach oder die Busse auf der Strasse oder die Ratten am Fluss. Sie sind da und niemand weiß warum.

 

Vierte Station ohne jemals anzukommen: Morgen wird Mittag. Müde nein. Hunger nein. Lust nein. Verlangen nein. Sehnsucht nein. Spaß nein. Lachen nein. Reden nein. Ficken nein. Fernsehen ja.

Fernsehen ist, was sich tut, wenn man sich selbst ausschaltet. Gemeinhin gerne als Entspannung vor der Glotze beschrieben, gibt man Ideen, Illusionen, Visionen und Gedanken auf und verabschiedet sich von sich ohne Auf Wiedersehen zu sagen. Der Vorteil von Fernsehen ist, dass man unter Umständen neue Eindrücke gewinnen, neue Ideen gebären und neue Illusionen und Träume heraufbeschwören kann. Doch ganz gleich was sich ergibt, es ist nicht das eigene Ich, es ist nur die fremde Idee. Diese kann man stilisieren oder variieren und am Ende macht man sie zur eigenen Idee. Im Grunde des impressionistischen Herzens weiß man aber, das alles geklaut ist. Geklaut im Sinne von wiederholt, mit oder ohne Variable. Selbst im Medium wiederholt sich alles, denn die Liebesfilme sind immer gleich, die Horrorschocker sind immer gleich, die Western sind sowieso immer gleich und die Actionfilme sind immer gleich und die Talkshows sind immer gleich und die neongrellen Musikvideos sind immer gleich und die Zeichentrickserien sind immer gleich und die Politmagazine sind immer gleich und die geschichtsdokumentarischen Aufklärungssendungen sind immer gleich und daher sind auch die Tasten auf der Fernbedienung immer gleich und die Funktion des Sehens ist immer gleich und am Ende sind sogar die Zeiten immer gleich und das Wiederholungsintervall ist immer gleich und die Zuschauer sind immer gleich und die Programmmacher sind immer gleich und alle sind auf ihre Weise Fernbedienungen mit Funktionalität aber ohne Eigenleben.

Fernsehen macht glücklich. Fernsehen macht frei. Der Deutsche im Besonderen und der Rest der Welt im Gesamten sollte Fernsehlager errichten, Kon-seh-trationslager, Aufgabe-Hingabe-Lager und am Ende des Tages darf irgendeiner ohne Identität auf einen großen Knopf drücken und alle ausschalten und am nächsten Tag kommen die nächsten Konsumenten und konsumieren ihre Ideen von Wiederholung und Kontinuität und lassen sich ausschalten.

Wer den letzten Knopf drückt? Scheiß noch eins, es ist derselbe, der den ersten Wind ins Universum gefurzt hat. Mit Flatulenz ergab sich die Wechselwirkung der Ists und die Entstehung des Alles. Der ordinäre Theoretiker spricht vom Big Bang, vom Urknall und manch verzweifelter Vierundsechzigdimensionendenker ersinnt und errechnet die Singularität und die Religion ist auf dem selben Stand wie die Wissenschaft und keiner weiß es, keiner erahnt es, keiner kann benennen, wer den Furz gefurzt hat. Der liebe Gott wohl war es. Dann knipst der auch das Licht aus. Jede Theorie, vom oszillierenden Universum bis zur Anfangssingularität hat den Haken, dass sie den Anfang verschiebt, aushebelt oder ignoriert. Die Wiederholung verschiebt den Anfang vor den Anfang, der Bumms aus dem Fastnichts sagt nichts über das Etwas des Fastnichts aus und am Ende und am Anfang steht die Frage was das Nichts wohl sein mag, wenn Etwas im Nichts ist, damit Etwas aus dem Etwas entsteht, weil Nichts aus Nichts wird. Also wird die Denkspirale zum Denkkreisel und anders als bei der Dope de France gibt es mit oder ohne Gehirnmaskara kein Anfang und kein Ende sondern nur eine Oberfläche, die sich milliardenmal denkerisch umrunden lässt ohne je auch nur die Ahnung einer Lösung zu finden, weil die nicht auf der Oberfläche des Balles zu finden ist sondern im Querschnitt oder sogar ganz jenseits davon, nicht auf einem Ball sondern auf einem Teller oder an einer Gabel.

Wenn ich aus dem Fenster glotze, was angesichts der gähnenden Langeweile hier immer wieder einmal vorkommt, dann sehe ich die Geschichte von Mr. Anderson auf der Straße. Nicht so pamphletisch das Ganze, was ich da sehe, nicht so stilistisch und bildgewaltig, aber ich sehe: die Leute gehen von links nach rechts und von rechts nach links und sie umgehen sich untereinander und innerhalb einander. Der Sinn des Lebens, sagen die, ist von links nach rechts zu gehen und nirgends anzuecken und in erweitertem Sinne nirgends anzukommen, was allerdings nicht bewusst realisiert werden soll oder kann. Da Links immer links ist, egal aus welcher Richtung man kommt, gehen alle immer von links nach rechts. Man könnte auch sagen sie gehen von rechts nach links oder von unten nach oben oder von grün nach vorne, denn wohin sie gehen ist abhängig davon, welche Sprache man spricht und wie man was irgendwann zu seiner Zeit definiert hat. Alles egalisiert sich selbst und am Ende brauchen wir wieder die Medien, die uns das gemeinschaftlich einheitliche Denken vermitteln, denn jeder sich selbst überlassen wäre nur für einen Gott als Zuschauer unheimlich unterhaltsam, für die Protagonisten im Theater des Schicksals aber tragikkomödiantisch. Die einen würden nicht sprechen, die anderen nicht laufen, die nächsten nicht essen, niemand würde sich verstehen, jeder müsste seine eigenen Erfindungen machen, die meisten würden verrecken und vermutlich war das der Beweggrund, dass sich die göttliche Flatulenz in das Nichts ergaste. Irgendwo aber ist die Realisierung als Selbstläufer gegenüber der eigentlichen Idee entgleist und der Gemeinsinn hat sich aus tausendjährigem Schlaf erweckt und am Zenith das Fernsehen geschaffen. In Wahrheit wird es der liebe Gott gewesen sein, der dem Erfindergeist sein Sperma injiziert hat. Und zwar aus dem lapidaren Grund, dass das menschliche Theater ohne Fernsehen wenig unterhaltsam wäre für das göttliche Parkett. Fernsehen stimuliert, Fernsehen macht doof, Fernsehen macht -

Fernsehmacht.

Der liebe Gott wird am Scheideweg seiner missstimmlichen Beobachtung festgestellt haben, dass man dem Menschlein nur genügend Spielzeug in die Hand drücken muss, um für hunderttausend Jahre Witz zu sorgen. Dieser Zynismus bedeutet dann wohl aber, dass Gott als schizophrenes Geschöpf der Teufel ist. Gott ist der Janus, der Gott und der Teufel, und in dem, was er treibt, ist er gut.

Als ambivalentes Geschöpf, als Geschöpf des Widerspruchs, lacht er über das, was er vernichtet und er vernichtet das, was ihn amüsiert. Manchmal schon wird er sich gewünscht haben, etwas mehr Konsistenz am Leib zu tragen, um sich das ein oder andere Psychopharmaka einzuschmeißen. Mit Hirnbetäubung und -vernebelung ist das Leben zum Lachen da und auch wenn er es sich für seine Akteure sicherlich nicht gewünscht hat, könnte er selbst es wohl am besten gebrauchen. Triste Vorstellung also zwischen den Vorhängen der Berserkerbühne.

 

Wenn alles nicht hilft, wenn nur die üblichen Brandherde glimmen, dann können Naturkatastrophen die Unterhaltungsskala nach oben treiben, ob Tsunami im Indischen Ozean oder Erdbeben in Pakistan - die Hauptsache ist: es knallt rein, weil der Gottteufel sich vorwiegend am Leid derer aufgeilt, die übrig bleiben. Der Gottgott schiebt seiner Kreation selbst alle Schuld zu, steht als Metawesen im Abseits und sagt irgendeinem Idioten von irgendeiner Kirche, er möge gefälligst niederschreiben, dass sich der Mensch die Erde untertan machen soll. So geschrieben, so verinnerlicht, liegt jede Aktion, jede Reaktion und jede Naturkatastrophe in der unmittelbaren oder mittelbaren Handlung des Menschen, im Wirken des Menschen oder im Nachgang des menschlichen Tuns.

 

Nach alledem stellt sich nun die Frage: ist aber die qualvollste und die schrecklichste Erfindung und die größte Folter aller Gottteufel die Langeweile? Die Langeweile, die tagein tagaus nur Langeweile macht, trotz scheinbar grenzenloser Freiheit, die einen umgibt, in der man sich augenscheinlich bewegt, die einen umfasst und umhüllt wie das Zitterwesen nach dem Orgasmus. Dahingegen: Langeweile ist okay. Denn Wasserfolter in Guantanamo ist okay, Genitalelektrofolter in Israel, Nägelausreißen im Irak, Frauenbeschneidung in Afrika - alles okay. Denn dort überall liegt die Verurteilung nicht im Ermessen sich selbst gegenüber. Dort gibt es nie Langeweile, dort frisst die Angst Langeweile auf. Angst vor dem nächsten Tag, vor der nächsten Stunde, vor dem nächsten Augenblick. Angst hat immer Hunger. Angst frisst immer.

Darum also wird er auch am meisten über die Gelangweilten lachen. Er, der liebe Gott. Da sitzt er in seiner Loge, onaniert oder masturbiert je nach präferiertem Geschlecht und wenn sein Blick auf einen Gelangweilten fällt - dann spritzt er ab.

 

Knipp, am 23.06.2009