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Sparpaket mit Georg Funke und Helmut Hartz IV.

Heute früh stehe ich also auf und schaue verschlafen in die Welt. Ich ziehe meine Sparstrümpfe an und trinke nur eine Tasse Kaffee. Das hat viele Vorteile. Mein Magengeschwür wuchert nicht so rapide, mein Kreislauf bäumt sich nicht explosionsartig auf, meine Geldbörse bleibt länger gefüllt. Auch die Morgenkippe auf dem Balkon schenke ich mir. Das hat viele Vorteile. Meine Arterien verstopfen nicht so rasch, mein Kreislauf bleibt gut gelaunt, meine chronische Bronchitis bricht später aus, mein Gesicht ist nicht so aschfahl, mein Lungenkrebs erblüht nicht so schnell, meine Geldbörse bleibt länger gefüllt.

Ich fahre heute mit der Bahn statt mit dem Auto. Das hat viele Vorteile. Beim Verbrauch meiner Maschine habe ich das Bahnticket sowieso raus, die Karre verschleißt nicht so schnell, ich blase nicht soviel Dreck in die Luft, ich investiere in ein Staatsunternehmen und entlehne mich der Gefahr, aus Unachtsamkeit einen Menschen totzufahren.

Ich spare heute für mich. Der Sommer passt mir da gut in den Kram. Es ist morgens hell und ich mache kein Licht, es ist abends hell und ich mache kein Licht. Das hat viele Vorteile. Ich zahle weniger Stromkosten, das Kraftwerk muss weniger Strom abgeben und wäre das konstant der Fall, könnte es seine Produktionsmenge senken und würde nebenbei noch seinen Teil zur Umweltsanierung beitragen.

Was mich zweifeln lässt an meinem Sparzwang ist die Tatsache, dass ich weniger Mehrwertsteuer zahle, weniger Tabaksteuer zahle, weniger Ökosteuer zahle, weniger Stromsteuer zahle mit diesem Verhalten.

Doch das Dilemma ist komplex.

Als Raucher erweise ich dem Staat einen guten Dienst, denn ich zahle eine beträchtliche Summe für meine Sucht. Diese Summe investiert der Staat allerdings wieder mit seinen Subventionen ins Gesundheitswesen, von denen ich spätestens dann profitiere, wenn mir der Kehlkopf infolge meines zügellosen Tabakkonsums entfernt werden muss. Rein rechnerisch gesehen wäre es am sinnvollsten, bei gleichbleibender Tabaksteuer einen Rauchmorbiden bei Ausbruch seiner Erkrankung zu erschießen. Das aber nur am Rande. Am Ende eines Tages geht es darum, dass ich gar nicht so recht weiß, wie und wo ich sparen soll. Immerhin möchte ich durch meine Sparmaßnahmen nicht gezwungen sein, in Zukunft noch mehr sparen zu müssen. Dann hätte ich zwar die Morbidität zugunsten der Letalität eingetauscht, weil ich mich irgendwann totgespart hätte, aber der Staat hätte am Ende auch nichts mehr von mir.

Wenn ich mein Leben steuerlich berechne, komme ich zu dem Ergebnis, dass ich mit rund 724 Euro Lohnsteuer, 32 Euro Mehrwertsteuer für Lebensmittel, 120 Euro Tabaksteuer und Mehrwertsteuer auf Zigaretten und 124 Euro Energie- und Mehrwertsteuer für Benzin auf eine das Gemeinwohl unterstützende Summe von monatlich Euro 1000 komme. Hinzu kommen Kleinbeträge wie Versicherungssteuer, Stromsteuer, Kfz-Steuer etc bla-bla, die irgendwo als Jahressumme unter irgendeiner Rechnung stehen und hier nicht relevant sein sollen.

Eintausend Euro im Monat also zur Deckung der Bedürfnisse der Gemeinschaft.

Nebenan im Haus wohnt Helmut Hartz IV. Der ist gelernter Arbeitsloser. Sein Ziel im Leben ist die Frührente. Helmut hat so um die 400 Euro im Monat. Die kriegt er vom Arbeitsamt geschenkt, weil er halt auch in der Gemeinschaft lebt. Der Helmut bohrt gerne in der Nase und schaut ab und zu auch mal Talkshows am Mittag. Der Helmut kauft bei Aldi, Lidl und Netto. Er verbläst zirka 120 Euro im Monat an Tabak- und Mehrwertsteuer wegen der Zigaretten. Quasi so wie ich, obwohl er mehr Zeit zum rauchen hat. Die 120 Euro gibt er zusammen mit 12,20 Euro Mehrwertsteuer auf Lebensmittel monatlich an den Staat zurück. Der subventioniert damit das Arbeitsamt, weil der Helmut auch im nächsten Monat wieder 400 Euro bekommt. Die Differenz von 267,80 teile ich mir in Höhe von rund 120 Euro mit meinem Arbeitgeber und zahle sie direkt ans Amt, die übrigen 147,80 nimmt der Staat aus meiner Unterstützungssumme, die ich für das Gemeinwohl hinblättere, und subventioniert das Arbeitsamt, damit dieses den Helmut subventionieren kann.

Der Helmut hat kein Auto und subventioniert auch kein Staatsunternehmen. Er hat den Aldi in Laufnähe und der Fernseher ist nicht angemeldet. Der Helmut hat keine Versicherungen und er fliegt nicht in den Urlaub. Neben der Tabak- und Mehrwertsteuer hat der Helmut nur die Stromsteuer für das Fernsehprogramm und den Luxus einer gut gekühlten Packung Ja!-Wurst. Auch bei der übrigen Lebenshaltung ist der Helmut sehr sparsam mit der Mehrwertsteuer. Meistens kauft er gebrauchte Artikel. Seit ihm das Arbeitsamt die Konnektivität ins Netz subventioniert hat, weil er sich ja auch um Stellenbewerbungen kümmern soll, schaut er immer mal wieder bei Ebay rein und ersteigert sich einen neuen gebrauchten Pulli.

Der Helmut spart also und umweltbewusst ist er damit auch noch.

Jetzt will auch der Staat sparen. Zum Beispiel an Helmuts Rentenversicherungsbeiträgen, weil der Helmut ja Langzeitarbeitsloser ist. Außerdem will er das Elterngeld streichen für arbeitslose Arbeitslose. Der will auch Gewinne einstreichen, die das Staatsunternehmen Deutsche Bahn erzielt. Der will sogar die Ferkelabgabe für die Luftverpester von Fluglinien einführen, Ökologische Luftverkehrsabgabe nennt sich das. Es soll auch die Brennelementesteuer und die Bankenabgabe geben. Dafür subventioniert der Staat die Rettung seines Nachbarstaats und vor allem rettet er die Hypo Real Estate. Dessen abgeschossener Vorstandschef Georg Funke klagt zuweilen auf rund 3,5 Millionen plus Pensionsforderung. Weil die HRE inzwischen dem Bund gehört, zahlen das quasi der Helmut und ich, so der Georg seinen Rechtsstreit gewinnt.

Okay, so tragisch ist es dann doch nicht.

Erstens sollen die Banken infolge des Sparpakets rund 2 Milliarden p.a. als Bankenabgabe an den Staat zahlen. Zweitens haben wir noch den Finanzmarktstabilisierungsfonds.  Der hat 2009 zwar einen Verlust von über 4 Milliarden Euro verbucht, dafür aber auch 172 Milliarden an Kapital- und Garantieleistungen erbracht. Ich weiß ad hoc nicht, wie viel Nullen eine Milliarde hat. Sicherlich steht davon aber auch eine Null synonym für Georg Funke.

Bei den Summen, die da seit Erfindung des Finanzmarktstabilisierungsfonds an irgendwelche Banken geflossen sind, fallen die paar Kröten für Griechenland eigentlich gar nicht auf. Warum auch! Wir sind Gewinner des Grand Prix d’Eurovision. Man könnte fast glauben, der Deutsche will immer alles. Deswegen hat der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Nölling jetzt auch zusammen mit ein paar anderen Ökonomen, Staatsrechtlern und Managern vor dem Verfassungsgericht Klage gegen die Griechenlandhilfe eingereicht. Die würde nämlich gegen den Maastrichter Vertrag verstoßen. Nach der Bail-Out-Klausel ist nämlich kein Euroland verpflicht einem anderen zu helfen.

Der Schäuble, also der Wolfgang, der macht das aber freiwillig und dann, so sagt er, ist das völlig legitim. So, als würde man dem arbeitslosen Griechen auf der Straße zehn Euro in die Hand drücken, ganz freiwillig, aus tiefer Überzeugung, weil er halt ein Euronachbar ist und nicht, weil er einem das Messer auf die Brust setzt. Der Nölling, der damals auch gegen die Euroeinführung geklagt hat, sieht in dieser Handlung den Beginn einer Spirale, den Beginn der Sanktionierung Deutschlands, den Untergang. Der Helmut, naja, dem ist das egal, solange das Arbeitsamt die 400 Euro überweist. Und ich, naja, ich weiß gar nicht, wozu die EU gut ist, ich weiß nicht welche Staats- und Infrastrukturfinanzierung die HRE leistet. Ich bin weder Prometheus noch Atlas. Ich kacke im sitzen und zahle Steuern und denke: Würden wir alle viel mehr rauchen, könnten wir uns das alles viel eher leisten. Dann denke ich, Prometheus war der Bruder vom Atlas und beide sind der griechischen Mythologie entlehnt, Gehirn und Vision stammen mehr oder weniger aus dem ollen Griechenland, das sollte es uns doch wert sein. All die Schätze und Güter der Antike sind doch ausreichend, um die unmittelbaren Erben vorm Absaufen zu retten.

Aber der gemeine Deutsche orientiert sich gerne am Eigenbedarf. Die arbeitslose Arbeitslose mit siebenundsechzig Kindern will dank Elterngeld natürlich Millionär werden, so steht sie also für die Sache ein. Der länderbereiste Tourist will natürlich viermal im Jahr für möglichst wenig Geld irgendwo hinfliegen, so boykottiert er die Luftverpestermaut. Die Bürokraten auf dem Amt wollen selbstverständlich in jeder Schreibtischschublade einen Locher stehen haben, so bilden sie einen Widerstand.

Die Latte ist lang. Sie reicht bis nach Griechenland und wieder zurück. Die einen wollen mehr Rente, die anderen keine Rentenkürzung, die einen weniger Steuern, die anderen höhere Löhne, die einen keine Schlaglöcher, die anderen kein Tempolimit, die einen erstklassige Versorgung im Krankheitsfall, die anderen möglichst niedrige Krankenkassenbeiträge.

Das ist er halt, der gemeine Deutsche. Ein Eigenbedarfler. Georg Funke braucht die 3,5 Millionen und seine Pensionsansprüche sicherlich ebenso, wie Ilsetraut Funke (Namensgleichheit rein zufällig) ihre 350 Euro Rente. Arbeitslose Stubenhocker brauchen ihr Elterngeld ebenso, wie der Zeitarbeit-Arbeitnehmer, der vier Mäuler zu stopfen hat von seinem gerade mal doppeltes-Hartz-IV-Gehalt. Jeder mag das meiste und alles nur für sich. Die Debatte um die Reichensteuer ist insofern makaber, als die Funktionäre über sich selbst richten müssen. Das ist nicht im Sinne des Erfinders, denn auch auf Entscheidungsebene gilt es den Eigenbedarf zu decken. Deswegen zahlen Väter den Kindesunterhalt nicht. Deswegen verfrachten Töchter ihre Väter ins Pflegeheim. Deswegen wird auf dem Basar gefeilscht. Deswegen werden Kriege geführt. Ist doch ganz einfach.

Und wir sind Deutschland. Sind wir doch! Wir haben den Papst, wir haben die Volksbekleidung, den Volkswagen, die Volksfürsorge und außerdem haben wir 2010 den Grand Prix gewonnen. Spanien hat uns mit 12 Punkten bedacht, weil sie im kommenden Jahr auf Staatshilfe hoffen, Griechenland hat uns ebenfalls eine Menge Punkte eingebracht, weil sie auf das spekulierte Geldgeschenk hoffen, von dem böse Zungen behaupten, die Griechen könnten es ja niemals zurückzahlen. Papperlapapp, wir sind ein Volk und wir stemmen die paar Kröten schon. Wir haben früher schon Billionen an Reparaturleistungen verblasen, nachdem wir Milliarden in Waffen investiert haben. Es ist wie in jedem ordinären Haushalt: Die Kohle geht immer für was raus und das meiste bleibt spurlos verschwunden. Nur eins ist sicher: Sollten wir Weltmeister werden, interessiert das sowieso keine Sau mehr!

Also bitte.

Tut nicht so oder habt ihr echt nix kapiert.

Knipp, 07.06.2010