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Paprikagulasch auf Farfalle. Könnte köstlich sein, wenn die Zutaten fein sind, wenn der Koch weiß was er macht, wenn die Portionen nicht im Kubikmetertopf einer Wir-müssen-tausend-Mäuler-stopfen-Kantine zubereitet werden und wenn die Esspampe nicht fünfzig Sekunden lang von zweitausend Watt heißgestrahlt wird, ehe man sie serviert bekommt. Letztere Dinge treffen aber allesamt nicht zu, also bleibt Köstlichkeit nichts weiter als eine gütige Vision.

Zwischen Paprika und Farfalle liegt Müdigkeit. Ich stochere lustlos in dem Fraß herum und frustriere über die konsequenten Systemabstürze im Büro. Ich denke, ich würde jetzt lieber ein Videospiel spielen. Meine Playstation läuft immer, egal ob zehn Grad Raumtemperatur im Winter oder fünfunddreißig Grad im Sommer. Da gibt’s keine Systemabstürze, keine Hängerchen und einen Fehler bei der Anlieferung von Druckdaten hat dieses Gerät ebenfalls nie vorzuweisen. Ich könnte mir auch vorstellen in der Sonne zu liegen, aber just in diesem Moment verschwindet die Sonne hinter Wolken. Genau genommen weiß ich nicht, was ich lieber tun würde als dasitzen, frustrieren und stochern, denn ganz gleich was ich mache, ich will etwas anderes tun. Videospiele haben den Vorteil, dass man aktiv wie passiv eingebunden ist. Das hat man beim fernsehen nicht so, da ist man nur Beobachter und dann schläft man auf der Couch ein um mitten in der Nacht aufzuwachen und nicht mehr müde zu sein. Bücherlesen bietet beim Buchstabensortieren und Umblättern zwar auch aktive Inhalte, ist aber für vierzehn Uhr bei warm keine Alternative. Alles andere, so Sport oder so, wäre sowieso zu anstrengend. Draußen warten 28 Grad darauf, dem nächstbesten Idioten, der unkonditioniert Meisterleistungen vollbringen will, einen Hitzschlag hinter die Ohren zu geben. Nein, Bewegung ist ein No-go für mich. Ich schwitze nicht gerne. Und ich bewege mich nicht gerne. Zwei Attribute, die sportliche Leistungen für mich unmöglich machen. Videospielen geht  aber auch nicht, weil Bürozeit ist. Im Büro klappere ich systematisch auf der Computertastatur herum, bis eintausend Buchstaben auf dem Bildschirm zu sehen sind, die sich vor meinem staunenden Auge in einen Geschäftsbrief verwandeln.. Beim Buchstabentippen denke ich, irgendwann schreibe ich ein Buch. Eine grobe Ideea: Zukunftsvision mit mobilen Bordellen. Mehr ist mir zu dieser Geschichte noch nicht eingefallen, aber die Sache mit der Fickwurstbude hat es mir total angetan.

Das Zeug auf meinem Teller erinnert mich an die Konserven im Supermarkt. Rindergulasch in ungeöffneten Dosen. Könnten auch kleingehackte Körperteile sein, die da auf meinen Nudeln schwimmen. Die Paprikaschnipsel sind winzig und trotzdem haben sie einen fahlen, abgestandenen, bitteren Beigeschmack. Die Fleischbrocken sind bissfest, irgendwas zwischen zäh und knorpelig, obwohl sie nicht knorpelig sind, da ist nicht mal Fett dran. Die sind total mager. Bulimiepatienten auf meinem Teller. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schmeckt die Konservenvariante von Paprikagulasch auf Farfalle besser als dieser zusammengekehrte Wurstrest aus der Hundefutterverwertungsanstalt. Zudem sinkt zu Hause das Risiko einer schweren Herpesinfektion infolge Nutzung ungenügend gereinigter Besteckteile um das mindestens hundertfache.

Eins zu hundert ist auch das Verhältnis zwei richtige Endziffern im Spiel 77 getippt zu haben. Herpes habe ich öfter als zwei Richtige im Spiel 77. Klar, da kommt auch das Nutzungsintervall hinzu. An der Bierflasche hänge ich mehrmals im Monat, frisch abgeschlecktes Besteck anderer Gäste landet einmal pro Wochen zwischen meinen Lippen, einen Lottoschein gebe ich, wenn überhaupt, einmal im Quartal ab.

Ich habe die richtige Endziffer auf Super 6, sozusagen meine Chance von 1 zu 10 ausgespielt und - zack! Gewonnen, da klingelt die Kasse, macht im Erlebensfall die Hälfte meiner Gulaschrechnung in der Metzgerkantine. Ich verschlinge den Fraß und schlecke die Soßenreste vom Teller. Mag sein, dass sich andere Gäste daran anstoßen, aber mehr Sex hat mein Leben nicht zu bieten.

Beim Bäcker hole ich mir Nachtisch. Hörnchen mit Vanille-Schokofüllung. Das Teil macht mir später Sodbrennen, das weiß ich. Backtriebmittel E305 oder sowas, das haut mir immer voll rein. Irgendein Zeug, das mir den Ösophagus-Sphinkter aufreißt, die Schleimhäute der Speiseröhre anfrisst und im Übrigen ein konsequentes Gefühl von verschluckten Chemiemitteln hinterlässt. Ich dachte eigentlich, ich beuge dem vor, indem ich mir zusätzlich ein Quarkplunder obenauf drücke. Sozusagen zum verschließen des Magenmundes um den gastrooesophagealen Reflux zu unterbinden. Na ja, die Erfahrung behält recht und die Schlaumeierei lässt sich als witterungsabhängiger Irrweg infolge erdrückender Hitze im Großstadtbereich erklären. Vanille-Schoko-Hörnchen plus Quarkplunder sind gleich doppelter Magensäure-Rückfluss. Beim nächsten Mal mach ich’s besser. Wie immer. Denke ich, stoße stillschweigend auf um mein Kollegenbataillon mit dem Gestank halbverdauten Paprikamülls, nicht aber der Geräuschkulisse eines Truppenübungsplatzes zu drangsalieren.

Mein Mittagstischbegleiter Müdigkeit ist mir an meinen Bildschirmarbeitsplatz gefolgt, mir fallen die Augen zu kaum dass ich sitze und ich sehe das Bild meiner Couch hinter flackernden Lidern. Lieder singen auch Abba, in meiner Stereoanlage, die steht meiner Couch gegenüber und dank der vier Drei-Wege-Bassboxen, die nach meiner Berechnung einen hervorragenden Zwölf-Wege-Sound ausgeben müssen, lässt es sich mit Dancing Queen ein paar gute Stunden auf dem Sofa verbringen. Dancing Queen ist die einzige Frau in meinem Leben. Sie ist nicht die Schlechteste. Imaginäres Frauenvolk hat einen Vorteil gegenüber realem Partnerüberfluss, es kann sich jedem Bedürfnis und jedem Wunsch anpassen. Außerdem ist es abgesehen vom Anschaffungspreis billig im Unterhalt. Der Oralverkehr ist allerdings staubtrocken und beim Koitus muss ich auf Vaseline zurückgreifen. Aber sie beklagt sich nicht wenn ich mal einen Boxkampf anschauen mag statt ihr das Trockenobst zu pflücken. Ich schlage die Augen auf, ein Blick auf die Uhr, kurz nach Feierabend, ich werde nervös, fahre das System herunter, packe mich aufwärts und auswärts und weiß, dass ich eigentlich nicht gehen will, weil ich nicht weiß wohin ich gehen soll, weil ich zu Hause nicht weiß, was ich mit mir anfangen soll.

Knipp / 11.07.2011