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Sex mit einem Opportunisten

Ein Schmu. Ein Gnu. Ein Emu. Du!

Hatten wir jüngst noch nicht einmal erahnen können, dass wir eines Tages zusammenfinden würden, sitzen wir heute nackt und befriedigt in dieser Kuschelecke, rauchen Zigaretten unterschiedlicher Marken und starren erschöpft und elektrisiert an die Decke, die Wand oder den Boden.

Acht Menschen sind wir. Vier Frauen, vier Männer. Davon sind nur wir ein Paar. Die anderen sind Singles mit ausgeprägtem Hang zu wechselndem Geschlechtsverkehr.

War das eine Orgie, die wir da hinter uns gebracht haben, war es wilder Gruppensex oder zärtliches Beisammensein jenseits trauter Zweisamkeit? Ich weiß es nicht. Zum ersten Mal habe ich so etwas erlebt und mein klammes Bauchgefühl hat sich wacker bis zu diesem Moment gehalten.

Meine Sorge über die Standfestigkeit unserer Beziehung hat die Tage zuvor, die Zeit während des Erlebnisses und meine Überlegungen im Nachhinein dominiert. Ich hatte keine Ahnung, was dieses Erlebnis in mir bewirken würde, was es auslösen könnte. Ich bin ein eifersüchtiger Mensch und mein Selbstbewusstsein ist gemeinhin nicht sonderlich ausgeprägt. Ich finde mich zu dünn, meinen Penis zu klein, meinen Schopf zu licht und die Haare an manchen Körperregionen zu wohlwollend. Diese Makel auszublenden und sich der reinen Lust hinzugeben fiel mir schwer. Noch gravierender war die Vorstellung, dass meine Liebste in meinem Beisein mit einem anderen, einem fremden Mann kopulieren könnte. Eine Belastungsprobe für unsere Beziehung und die Standpunkte, die wir in unserer Partnerschaft vertreten.

Mein junges athletisches Mädchen, das sich von Anfang an dazu bekannte sehr früh erste sexuelle Erfahrungen gesammelt zu haben und häufigen, wilden Geschlechtsverkehr praktizieren zu müssen, war die treibende Kraft hinter der Überlegung an einem solchen Ereignis teilzunehmen, sie hatte das Verlangen gezeigt sich einer solchen Gruppe anzuschließen. Sie war schon immer die Experimentatorin von uns beiden.

Ich bin sexuell nicht konservativ eingestellt, aber mir fehlt der Esprit um die Initiative zu ergreifen. Vielleicht liegt es an Ideenlosigkeit, vielleicht an mangelndem Mut. Vielleicht ist es auch einfach nur bequem, sich am Partner orientieren zu können und zu reisen wohin er die Richtung vorgibt. Und so kam ich also auch hierher. An diesen Ort der Gemeinschaft.

Ich liebe mein Mädchen. Das glaube ich zumindest. Ich weiß nicht so recht, was die Liebe ist. Ich kenne die Gefühle von Aufstieg und Fall, die einen überwältigen, wenn man sich mit einer Frau einlässt und wenn die Frau mich dann verlässt. Den Höhenflug erlebe ich auch bei meinem Mädchen, seit acht Wochen schon. Diese ungetrübte Leichtigkeit war das größte Geschenk, das sie mir machen konnte. Doch jetzt ist diese Leichtigkeit verflogen und einer lähmenden Belastung gewichen. Ich fühle mich unwohl in diesem Kreis. Niemand lacht über mich, niemand spricht über mich, niemand schielt heimlich herüber. Seriöse und disziplinierte Menschen sind das. Aber ich fühle mich unwohl.

Mein Mädchen sitzt mir gegenüber in dicken Kissen, zwischen den beiden Männern, mit denen sie kurz zuvor noch Geschlechtsverkehr hatte. Ich beobachte, wie jeder statisch dasitzt und seine Hände bei sich behält. Jetzt nach dem eigentlichen Akt befummelt niemand mehr den anderen, niemand sucht Nähe und Liebkosung bei einem anderen. Jeder ist für sich. Der letzte Rest Nähe und Zuneigung definiert sich zu diesem Zeitpunkt nur noch durch das dichte beisammensitzen.

Ich bin mittendrin in diesem Geschehen und doch meilenweit entfernt. Ich hatte weder eine Erektion noch einen Orgasmus. Ich war das fünfte Rad am Wagen, ich war der dritte Schuh im Regal, ich war nicht vorhanden. Eines der anderen Mädchen hätte sich vielleicht für mich interessiert. Sie hatte sich angenähert, hatte mich angelächelt und angefasst, meine Eier in ihre warmen, weichen Hände genommen aber es nicht geschafft mich scharf zu machen, mich erigieren zu lassen. Schließlich hatte sie mich aufgegeben und sich den anderen hingegeben.

Mein Mädchen sitzt da und ist wunderschön. Und die Männer neben ihr sind größer und kräftiger als ich. Ihre Schwänze sind größer als meiner, ihre Schöpfe sind voller und die Rücken glatter. Sie sind das Gegenteil von mir und sie haben mit meinem Mädchen geschlafen. Wie nur soll ich damit umgehen. Kann ich damit umgehen? Werde ich es jemals können?

Was ich bei meinen Überlegungen im Vorfeld erahnte, scheint sich nun zu bewahrheiten: Dieser Exzess hat ein hohes Gewicht auf die Stützpfeiler unserer Beziehung gelegt. Meine Überlegung, wodurch sich eine Partnerschaft definiert, was eine Beziehung ausmacht, ist schwer erschüttert. Die letzten Reste der Intimität schwinden durch diese Orgie. Fast alles an und von seinem Partner teilt man bereits im ordinären Alltag und Berufsleben mit einer Vielzahl von Menschen im privaten und beruflichen Umfeld. Gemeinsames Kochen, Kinofilme, Konzertbesuche, Humor und Intellekt, Eloquenz und Versiertheit. Fast der gesamte Charakter, das gesamte Auftreten und die meisten Interessen werden geteilt mit Arbeitskollegen, Freunden, Bekannten und Familie. Sexualität ist eines der letzten Dinge, die in einer Beziehung ausschließlich unter den Partnern ausgetauscht wird. Sexualität ist die letzte wohlwollende Intimität, die für das Paar bestimmt sein sollte. Weder das Schneiden der Fußnägel noch der Gang zur Toilette sind wesentliche Elemente zur Förderung oder Aufrechterhaltung der Innigkeit. Neben diesen rudimentären Tätlichkeiten, die der eigenen Intimsphäre vorbehalten bleiben sollten, existiert also nur der Sex.

Was aber passiert, wenn Sex öffentlich wird, wenn der aus der Beziehung herausgetragen wird?

Mein Gewissen verfinstert sich. Mein Hang zur Eifersucht ist schwer geschürt worden durch den sexuellen Übergriff. Auch jetzt noch, wo sie nackt dasitzt und jeder auf ihre Scheide und ihre Brüste blicken kann, dreht sich mir der Magen. Wir haben heute den letzten Pakt unserer Beziehung offenbart und preisgegeben, aus der Hand gegeben, Eingriffe von Fremden vornehmen lassen.

Unser Sexualleben war nie besonders fantasievoll und nie besonders intensiv. Mehrmals wöchentlich aber nie von langer Dauer, weil ich unter raschem Samenerguss leide. Mein Mädchen muss es sich meistens selbst besorgen, weil sie nicht so schnell zum Orgasmus kommt wie ich. Nach nur kurzer Zeit hat sie dann bereits wieder Lust. Ich kann in diesem Verlangen unmöglich mithalten. Allerdings hege ich nicht den Wunsch nach Steigerung, nach Entdeckung oder Erfahrung.

Mein Mädchen ist grundlegend anders veranlagt. Das hat sie mir immer wieder deutlich gemacht. Ich habe mich darauf eingelassen, im Ungewissen, ob und wie ich damit würde umgehen können. Heute weiß ich: Die Gewissheit, mit einer anderen Frau als meinem Mädchen schlafen zu können, hat mich nicht stimuliert und es hat mich ebenfalls nicht stimuliert zu beobachten, wie mein Mädchen von anderen Männern penetriert wird. Das Einzige was ich darin erkenne, ist die Reduktion auf das Objekt und das Objekt am Objekt.

Niemand in der Gruppe spricht. Niemand kuschelt. Wir rauchen unsere Zigaretten und starren an die Decke, die Wand oder den Boden.

Später bin ich der Erste der sich erhebt und den Kreis verlässt. Es erfordert all meinen Mut als Erster aufzustehen, denn ich weiß, dass vierzehn Augen auf mich gerichtet sind in diesem Moment. So ist es, alle schauen aber niemand spricht etwas. Das Schweigen ist ebenso anklagend und gewichtig wie der Hinweis, dass ich keinen hochbekommen habe oder mein Mädchen vor Geilheit klitschnass war. Die Stille trifft mich also ebenso tief wie jede verbale Anklage.

Ich gehe zur Toilette und erleichtere mich. Am liebsten würde ich mich erbrechen, doch diese Schmach tue ich mir hier nicht an. Als ich zurück komme, stehen auch die anderen Teilnehmer auf. Inzwischen ist einiges Getuschel und Gefisper entstanden. Es gibt klare Wortführer in der Gruppe und einige, die verbal den Anschluss finden. Andere halten sich gänzlich zurück. Jeder sucht seine Bekleidungsstücke.

Später verabschiedet man sich mit Wangenküsschen und Händeschütteln, Schulterklopfen und Umarmungen. Ich drücke niemanden. Ich küsse niemanden. Dem Handschlag kann ich mich nicht ganz entwinden.

Als mir frischer Nachtwind um die Ohren weht, kann ich zum ersten Mal erleichtert aufatmen. Mein Mädchen geht neben mir die Straße entlang. Wir haben noch keinen Ton miteinander gesprochen. Erst als wir den Wagen erreichen, sagt sie, dass es ihr sehr gut gefallen hat und dass sie es deswegen noch ein Zweites mal ausprobieren möchte.

Ich schaue sie über das Blech des Wagens hinweg an und sie strahlt wie eine Königin der Nacht in diesem bleichen Licht aus Mond und Laterne.

Ja, sage ich zu ihr, das machen wir.

 

Knipp, 23.06.2010