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Vietnam

Der schmächtige Typ, der in polyesterglitzernden Boxershorts auf dem Balkon
steht, heißt Pan Tau. Die Frau mit den Stummelbeinchen nennst Du liebevoll
Mai Tai. Das was passiert wenn man Pan Tau in einen Mai Tai kippt, trägt
sie auf dem Arm. Du hast keinen Namen dafür. Es ist noch zu klein für einen
Namen. Mai Tai sitzt oft auf dem Balkon, im weißen Sommerkleidchen, die
Knie angezogen. Du siehst nicht, ob sie einen Schlüpfer trägt oder nichts
als Gebärfreudigkeit, denn der Sichtschutz am Balkon ist zu groß um Pornografie
sichtbar zu machen. Seit Mai Tai dieses Ding auf dem Arm trägt ist
Pan Tau selten zu Hause. Beim Hahnenkampf oder auf dem Fischmarkt wird er
sich herumtreiben. Arbeit hat er keine, das weißt Du, denn in dem Bau, in
dem sie hausen, hat niemand eine Arbeit. Mai Tai hat ihre Schmächtigkeit
gegen das Ding auf ihrem Arm eingetauscht. Die Stummelbeinchen hat sie
nicht immer gehabt. Vor der Sache mit dem Ding war sie schmächtig wie Pan
Tau. Seither aber sitzt sie häufiger auf dem Balkon. Sie wirkt gedankenverloren
an dieser kotzefarbene Betonfassade mit all den müllsack- und
bananenkartonverzierten Balkonen, die auf allen Seiten des Innenhofs
hinüberlethargieren. Mai Tai hat keinen Müll auf dem Balkon aber einen
aufklappbaren Wäscheständer. Na immerhin, denkst Du. Auf dem Wäscheständer
hängen ab und an Schlüpfer in weiß und schwarz. Nicht das teure Passionata-Zeug
aber Eleganz mit Rüschen und wenig Stoff. Gibt’s bei Orsay oder Hennes
und Mauritz für lau. Schlüpfer statt Wohnraum. Das können sie sich also
leisten, denkst Du.

Knipp, 07.07.2011

 

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Schuhe

In der U-Bahn begegne ich einem Mann in Bommelslippern. Es ist der zweite
Mann in zwei Tagen, der sich mit Bommelslippern auf die Straße wagt. Ich
hatte damals selbst welche. Damals, im Alter von sechzehn Jahren, als meine
Mutter mich für die Berufsausbildung einkleidete. Ich hatte mich immer
elend gefühlt in diesen 80er Jahre-Klamotten Anfang der Neunziger.
Ich war weder authentisch noch verfügte ich über genügend Rückgrat um keine
lethargische Jugend zu verbringen. Heute kaufe ich meine Schuhe
selbst. Keine Bommelslipper, nie mehr Bommelslipper. Es ist nun Jahre
her, dass ich jemals jemanden in diesen Kunstwerken unter den
Fußbekleidungsobjekten erblickt habe. Und ich war mir sehr sicher, dass diese
Etwasse längst ausgestorben sind. Der Mann in der U-Bahn belehrt
mich nun eines besseren. Und erinnert mich an meine Berufsausbildung.
Und manchmal denke ich noch an David Lynch und die David Lynch-
Ausstellung. Zweitausendneun im Max-Ernst-Museum in Brühl. Ich
war dabei. Max Ernst war weniger interessant. Max Ernst hat es mit drei
oder vier Bildern gepackt den Betrachter zu packen. Seine zweihundert
Millionen Collagen und der Bastelkram, den er fabriziert hat, berauschen
dagegen wenig. Werner Spies hat in Max Ernst trotzdem eine Lebensaufgabe
gefunden. Zweihundert Millionen Collagen sortieren und katalogisieren
dauert eben seine Zeit. Ich war auch auf der Botticelli-Ausstellung in
Frankfurt, das war ebenfalls Zweitausendneun. Botticellis Werke sind die
Tunten unter den Ledertypen. Ich mag das nicht so. Caravaggio finde ich
gut, der ist wie David Lynch. Botticelli ist aber irgendwie wie die
Miezekatzentante, deren Miezekatzenbilder als Kunstdruck im Kaufhaus
verramscht werden. Sollte ich jemals in meinem Leben wieder ein Bild malen,
dann werde ich einen Bommelslipper malen.
Draußen fällt es Regen vom Wolkendach. Der kommt daher wie der deutsche
Herbst Mitte Juli. Die Keller können wieder schimmeln.

Knipp, 13.07.2011