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Everything is alright

Generation Y, oder war es X oder war es dann doch xy... ungelöst? Schwamm drüber, beachtet man die zwanghaften Analysebedürfnisse derer, die einst als Generation X oder Generation Baby Boom aus dem Nachkriegsdeutschland hervorgingen, schrumpft dem geneigten Betrachter das Geschlechtsteil auf Sackhaarwurzellänge. Da wird zwingend das Verständnisbedürfnis herbeigeheuchelt, dass es mittels Studien, Umfragen und Erhebungen zu ergründen gilt, warum diese neu definierte Generation so grundlegend anders agiert als deren Altherrenväter, die ihnen ihre Philosophie vom Leben doch episch vorgelebt haben. Da verhält es sich aber in Wahrheit ganz ähnlich wie bei Schlegel: Die Poesie der Alten war die des Besitzes, die unsrige ist die der Sehnsucht. Oder so ähnlich. Das hat er gesagt und in einem lapidaren Satz eine moralische Grundproblematik heraufbeschworen, die nur durch Wechselhaftigkeit erträglich bleibt. Jede Generation quillt aus der letzten heraus, zunächst physisch, dann auch in der Prägung ihrer Leitmotive. Die Lösung ist somit ganz einfach. Die Generation Y geht gebildet, wohlerzogen und selbstbewusst ins Rennen, weil deren gebildete Vorfahren in der Bildung das Vorbild sahen oder deren ungebildete Vorfahren die Möglichkeit hatten, dem Spross die Möglichkeit zur Bildung zuteil werden zu lassen, die man selbst nicht genießen konnte. Natürlich will die Generation Y jetzt, da sie im Rennen ist nicht das irrationale Leben seiner Eltern führen. Was haben wir in den Neunzigern und im frühen neuen Jahrtausend gesehen, gelesen, erlebt und gelernt? Partnerschaften und Beziehungen sind flüchtig, die Scheidungsrate steigt ins Unermessliche, die Zahl der Todesfälle infolge schwerer Herzerkrankungen ebenso. Der Umgangston und das Ideal in den heimischen vier Wänden ist von Stress, Zeitdruck und Erfolgszwang geprägt. Jährlich wird ein neuer Wagen geleast, dick und groß und etwas glanzvoller als Nachbars Kutsche sollte er dabei schon sein. Während Vater auf fünf Kontinenten Geschäfte macht, steht Mutter vor einer Palette von zweihundertfünfzig verschiedenen Feinsteinsoten für die neue Badezimmerbefließung. Das Leben scheint aus Abwesenheit, der Notwendigkeit zum Geld verdienen, Zeitnot und Entscheidungszwängen zu bestehen. Aber ist das richtig? Ist das das Leben? Und warum denken die Alten, die Jungen müssen dies begehren? Die Jungen zeigen den Alten, dass deren Ideale Geld, Status und Prestige der Hitler der Neuzeit sind. Das Ganze wird regelmäßig an den Weltwirtschaftsmärkten dokumentiert. In Form der Technikblase an der Börse zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Es wird geprägt von der Immobilienkrise in den USA und der Pleite eines großen Geldhauses, von der Eurokrise, die unter der Weltwirtschaft schwelt wie die Magmablase unter dem Yellowstone-Park. Zuletzt und jüngst wird sie fundiert durch die Erkenntnis, dass Politik und Wirtschaft eben jener intrigante Sumpf ist, der in Film und Fernsehen seit Jahrzehnten deklariert wird. Die Fiktion und Spekulation von einst ist heute Gewissheit. Edward Snowden macht den Kalten Krieg 2.0 populär. Nicht, dass es erschütternd wäre, dass E-Mails abgegriffen werden, Daten gefiltert, gespeichert und verarbeitet werden. Wer im Meer schwimmt, weiß nicht, was in dessen Tiefen lauert. Aber Dein Freund Amerika ist nur Dein Freund, wenn er das Führungsseil tragen darf. Braucht man solche Freunde? Und vor allem, braucht man sie heute noch, wo die ganze Welt unity ist? Das Ganze hat nichts damit zu tun, dass Y mit Elektronikgeräten groß geworden ist. Essentiell ist vielmehr, dass Y wie auch X und Boom in der Lage sind, aktuell und in Sekundenschnelle Informationen auszutauschen, zu verbreiten und zu verarbeiten. Niemand ist mehr angewiesen auf einen Schriftsatz der Deutschen Presseagentur, oder den korrekturgelesenen Ergüssen in einem beliebigen Printmedium, das ohnehin erst am Folgetag am Kiosk liegt. Nachrichtensendungen, die erst in den Abendstunden über die Mattscheibe flimmern, haben den obligatorischen Wert der Richtigkeit. Aber Menschen denen ich vertraue obliegt auch Richtigkeit in ihrer Aussage. Möchte ich also weiterhin dirigiert werden, wie es einst mein Vater mit mir tat, wie es das Personal an den Eliteschulen mit mir tat, wie es die Vorstände mit meinem Vater getan haben. Soll ich springen, weil mir ein Chef die Zukunft voller goldener Tränen lobpreist? Nein. Die Definition von gut, besser und Elite führt uns a priori ad absurdum. In Wahrheit geht es um Zwischenmenschlichkeit auf allen Ebenen. Diese wurde nach der frostigen Stimmung, die Vorgängergenerationen heraufbeschworen haben, wieder etwas gepudert mit Sozialen Netzwerken und technisch unverklemmter Leichtfüßigkeit. Damit einher gehen nicht nur mehr Aufgeklärtheit sondern auch mehr Abgeklärtheit. Und damit einher geht die Erkenntnis, dass es überall auf der Welt irgendwie ist. Oben kalt, unten kalt, in der Mitte tropisch, hier verarmt, da wohlhabend. Besitzt man die Gabe zu logischem Denkvermögen und einen geringen Hang zur Kombinatorik liegt es auf der Hand, weshalb in den Industrieländern Krebs und Herzinfarkte die primären Todesursachen sind. Dass meine Eltern selten zuhause waren, sich kaum etwas zu sagen hatten oder mich auf dämliche Privatschulen schicken wollten steht zwar nicht im Internet, aber das ist auch nicht nötig, ich habe es live erlebt. Meinen Freunden auf facebook und co. geht das ähnlich. Wie jede Generation leben wir durch unsere Gemeinsamkeiten erst auf. Facebook ist übrigens auch so ein Angelhaken. Ich kennen niemanden mehr, der dort sein Leben als Chronik breit tritt. Die Informationswellen von gestern sind versiegt. Facebook ist inzwischen längst eine Plattform für Statements, Werbung und Zeitvertreib in den Fünfminutenpausen geworden. Facebook ist aber nicht mehr das Kommunikations- und Informationsmedium unter Freunden und Bekannten. Ganz im Gegenteil. Der Trend geht wieder zum Telefonat, zum persönlichen Gespräch oder zu einem der Hunderte von Chatprogrammen auf dem Smartphone. Es ist einmal wie immer. Etwas kommt, etwas geht. Dass die Alten fragen, warum die Neuen nicht sind wie sie unterstreicht indes die Notwendigkeit zwingend anders sein zu müssen.

Knipp / 2013